Stilblüten in seltsamen Zeiten

Stilblüten in seltsamen Zeiten

Zeiten in denen sich Wohnzimmer in Fitnessclubs verwandeln, Joggen eine Renaissance erfährt, Vorräten und insbesondere dem Klopapier ungeahnte Bedeutung widerfahren! 

Ach was hat dieses Virus so alles freigelegt. 

Wochen bevor es in Berlin gesichtet wurde, schrillten bei mir die Alarmglocken. Es näherte sich: Bayern, Nordrhein Westfalen….., die Einschläge kamen immer näher. Solange es sich im Ausland tummelte, war Ruhe angesagt! Frecherweise überschritt es dann doch die Deutschen Grenzen! 

Noch nicht ganz erholt von einer ganz klassischen Influenza, die uns auch schon ziemlich heftig überfahren hatte, wurde Corona zum Dämon. Ich musste handeln! Und zwar noch vor vielen anderen. Ich stellte mir Panikkäufe vor, mit unendlich vielen verseuchten Mitmenschen vor leeren Regalen! Also halb krank der erste wichtige Einkauf. Was genau wusste ich nicht, woher auch. Hier ein Dank an Hollywood! Die Katastrophenfilme hatten uns gelehrt auf was es ankam: Dosen, Milch, Zucker, Mehl, Öl, Nudeln…. Puhh geschafft! 

Mit meinem Verhalten habe ich natürlich auch viele andere in meiner Familie angesteckt. Vorräte verstaut und jetzt abwarten, wann das Virus Berlin erreicht! Denn so ein Virus klingelt natürlich auch beim Berliner Bügermeister und sagt: „ Ich bin jetzt da!“ „Nun aber mal los mit den Maßnahmen!“ 

So war das Virus mit dem ersten echten Patienten auch erst offiziell in der Stadt, zumindest für den Berliner Senat! Die verhaltenen Reaktionen nahmen mit der Zeit ernsthafte Züge an. Täglich kamen neue Fälle, neue Maßnahmen, neue Empfehlungen, dann Verbote hinzu. 

Bei mir folgte die nächste Panikattacke: „Was mache ich, wenn die Sportstudios, Vereine schließen, man nirgendwo mehr hingehen kann?“ Mir fiel ein Sport ein, den ich echt nicht mag. So was von öde! Kann ich so überhaupt nicht! Echt so das Letzte auf meiner Sportliste: Joggen! 

Die Idee formte sich immer sympathischer in meinem Hirn! Das Virus weichte mir schon das Hirn auf. Ich musste joggen! Die einzige Freiheit die man uns lässt! Kannst du alleine machen! Ziel vor Augen und los! Kondition sicherlich auf dem Nullpunkt, aber in Notzeiten musste sie reichen! Das alles ging mir Samstagabend um 19 Uhr durch den Kopf und kurz vor 20 Uhr waren wir stolze Besitzer von Laufschuhen. Alleine geht natürlich nicht, der Mann muss alle Ideen und Phasen des Lebens mitmachen. Freundin auch noch animiert und Sonntag früh der erste Lauf! Die Freiheit war gesichert, der Tiergarten unsere Rettung! 

Die Sportstudios und Vereine schlossen wirklich. Kitas, Schulen, Unis…. das öffentliche Leben näherte sich dem Gefrierpunkt. Man hockte sich in der Wohnung auf der Pelle. Es musste Abwechslung in den Wohnungsalltag hinein. Joggen die ganze Zeit geht doch nicht! Also in weitere Sportartikel investieren. Kannst du nicht zum Sport, dann hole ihn zu dir! Inzwischen sind wir glücklich mit einem coolen Indoorbike, einer Sportbank auf der man in allerlei Haltungen Gewichte drücken kann, einer wirklich schweren Kugel, Kettlebell, Springseil, Sportbänder. Das Wohnzimmer hat jetzt einen hübschen Sportbereich bekommen. Alleine die Androhung des Freiheitsentzugs hat solche Reaktionen bei uns ausgelöst. Wir haben uns mit Sportgeräten eingedeckt, wie jemand der hungrig einkauft! 

Das aktive Leben haben wir in ein online Dasein verwandelt: Onlinekurse für Sport und Bildung, Home Office. Wir simulieren irgendwann vielleicht unser Leben. 

Diesen „Matrix“ Film hatte ich bisher nicht so ganz verstanden, aber langsam sehe ich Parallelen dazu. 

Aber vielleicht kommt es alles nicht so schlimm, wie in meinen Panikvisionen. Es normalisiert sich hoffentlich alles viel schneller. Die Vorräte machen aktuell noch keinen Sinn. Man bekommt weiterhin alles, bis auf das Klopapier. Das ist immer wieder ausverkauft. Eine echt sinnfreie Handlung meine lieben Mitmenschen! Was macht ihr damit? 

Soziologisch kommen echt wichtige Fragen auf uns zu! Bin so gespannt auf die Studien, die nach dieser Epidemie folgen werden. Wir geben uns selbst so viele Rätsel auf!  

Wie schnell kann doch Vergangenheit entstehen!

Wie schnell kann doch Vergangenheit entstehen!

Gemeint ist nicht die Vergangenheit, die sich die Zeit vornimmt. Nicht die Ereignisse und Erlebnisse die langsam zermürbt werden von der zeitlichen Distanz, sondern wie wir von einem Tag auf den anderen Fakten schaffen und alles handgemacht in die Vergangenheit befördern. 

Gerade habe ich an eine lustige Situation gedacht, die sich auf unserer nicht besonders schönen Einkaufsstraße, der Turmstraße in Moabit, ereignet hat. Es war etwas, das mit Menschenmengen und Gewohnheiten zu tun hatte. Aber binnen weniger Tage ist dieser Anblick in ein Verbot katapultiert worden. Was passiert gerade mit uns? Aus meiner Kindheit kenne ich ein Moabit, eine Turmstraße, bunt, mit vielfältigen Geschäften. Unter Freundinnen kommen wir ab und an ins Schwärmen darüber, was wir so alles hatten auf der Turmstraße: mindestens sagenhafte drei Schuhläden, Lederwaren, Karstadt gleich zweimal, Ebbinghaus, Boeldicke, schöne Juweliere, Kinos. Wirklich schöne Starßenfeste. Ach es war eine so schöne Einkaufsmeile! 

An diesem Zustand hat der Zahn der Zeit genagt. Nach und nach hat sich fast jedes Geschäft verabschiedet, eine trostlose, farblose, ideenfreie Ansammlung vieler Geschäfte ist uns über Jahre erhalten geblieben. Man fragte sich: „Wie viele Backshops und billig Geschäfte braucht Moabit eigentlich?“ Doch auch hier wurde es mit der Zeit besser, nicht übermäßig schnell, aber eine zaghafte Entwicklung war zu spüren. Kulinarisch kann man hier inzwischen gut überleben. Unsere Markthalle ist eine feine Oase vieler kleiner Geschäfte geworden und eine Mall kam hinzu. Berlin brauchte nicht wirklich eine weitere Mall, aber wir Moabiter brauchten sie! Diese zaghafte Entwicklung ist gerade wieder gefährdet. Was Jahre gebraucht hat wieder etwas interessanter zu werden, ist innerhalb von wenigen Tagen kurz davor wieder zerstört zu werden. Es waren keine Jahre mit Wirtschaftskrisen nötig, keine langwierige Gentrifizierung. Ein unsichtbares Virus hat alles viel schneller in den Griff bekommen, wie alles auf der ganzen Welt.

Ja ja, es hört sich jetzt alles an wie ein Moabit-Blues, so ist es auch! 

Liebes Coronavirus lange bevor es dich gab, müssen wir mit einem Virus infiziert worden sein, das stärker ist als du, deutlich länger hält und ganz sicher vererbt wird: Einmal Moabiter immer Moabiter! Keiner zieht hier gerne weg, und wenn doch, dann versucht er immer zurückzukommen! Dieses Verhalten ist nicht erklärbar! Es gibt schönere Stadtteile, aber Moabit hat was! Es ist ein so schönes Dorf mit wunderbaren Ecken, die Spree schlängelt sich durch, der Tiergarten ist unser, Ku’damm, Friedrichstraße super erreichbar.  Man kennt sich in unserem großen Dorf, grüßt sich weil man sich schon ewig kennt. Die meisten von uns haben diesen Teich nie verlassen, oder leben lange genug hier, um alles andere untergeordnet zu haben: „War da noch was außer Moabit?“

So viele Phasen haben wir überstanden: zerstört, schön, hässlich, wieder aufblühend! Also schaffen wir auch dich Corona! 

Moabit, wir packen das schon! Liebe Café- und Restaurantbesitzer, alle Gewerbetreibenden, nicht aufgeben bitte! 

Wir kommen wieder! 

2020

2020

Wie habe ich mich gefreut dich endlich begrüßen zu können! 

2019 war so ein schwieriges Jahr für mich. Mit Verlusten und vielen Veränderungen verbunden. Je älter ich werde, finde ich Veränderungen echt nicht angebracht. Alles was sich bewährt und eingespielt hat, könnte doch so bleiben. Von dir hatte ich mir viele Verbesserungen erhofft, 2020. 

Aber was für ein Start?!

Da hat dir 2019 den Staffelstab mit einem Virus übergeben, das wir jetzt schön über die Welt verteilt haben. Du hast für die meisten Menschen auf dieser Welt etwas gestaltet, das wir so nicht erlebt haben. Wir waren eine so glückliche Generation in diesem gesegneten Europa. Für viele von uns sind Kriege, Hunger und Mangel aller Art doch eine große Unbekannte. Was sollen wir mit diesem Virus nun anfangen? Er führt weltweit zu vielleicht notwendigen Überreaktionen: Grenzen schließen, Distanzen wahren, Ausschließen, Einschließen, Existenzen gefährden, oder auch ruinieren. Außer viel Zeit zu haben, für was auch immer, sehe ich gerade nichts positives an deinem Mitbringsel, 2020! Und was machst du aus unserem Europa? Wir waren doch gerade dabei uns von der Abkehr der Briten zu erholen. Hatten ein jahrelanges Brexit hinter uns! Nun sind wir sie oder sie uns los, aber du 2020 stellst uns wieder vor eine weitere Probe. Nichts wird mehr gemeinsam beschlossen. Alle schotten sich ab, ziehen Grenzen hoch, lassen ein freies Europa nicht mehr zu. Wir hatten schon bei der Flüchtlingskrise gesehen, wie fragil doch unser Beisammensein funktioniert. Damals wollten wir alle nicht zusammenhalten, aus rein egoistischen Gründen. Diese Krise hat so viele hässliche Seiten unserer Gemeinschaft offenbart, die wir schwer übertünchen konnten. Und jetzt kommst du 2020 und gibst uns eine Angst zur Hand die uns erlaubt, geradezu aufdrängt dieses große Werk Europa wieder zu zerstückeln. Wenn wir dein furchtbares Geschenk verdaut haben, dann müssen wir alles Überdenken. Dass wir uns erholen werden, da bin ich mir sicher! Nur ob ich die Veränderungen mögen werde? Sicherlich nur dann, wenn sie Verbesserungen sind. Also gib dir Mühe 2020! Lass die Menschen besser werden, Europa stabiler und geeinter, die Gesundheitssysteme sollen sozialer werden und nicht wirtschaftlicher. Und falls du die Finger nicht von den Viren lassen kannst, dann versuche doch mal eine Mischung die Böses vom Guten trennt, nicht jung und alt, dann hätten wir endlich mal perfekte Verhältnisse auf der Welt! 

Was für eine Zeit!

Ich hätte gerne meinen Alltag zurück. Mit all seinen langweiligen Facetten.
Die Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Epidemie sehe ich ein, akzeptiere, setze sie um. Aber die Exit-Strategie ist mir noch nicht klar. Weitere zwei drei Wochen, mit weiteren Restriktionen und Verboten: Okay! Aber wann hören wir auf damit? Sind wir denn in einigen Wochen soweit, die prognostizierten Patientenzahlen zu bewältigen? Gebt ihr Regierenden wirklich euer Bestes um das runtergewirtschaftete Gesundheitssystem startklar zu machen? Oder trödelt und lamentiert ihr weiter herum?
Denn irgendwann müssen wir damit aufhören! Noch weniger Leben geht immer, aber wofür?
Mir fehlt das Ziel!
Werden wir später nicht mehr ein Gesundheitssystem haben, das gewinnbringend arbeiten muss? Das wäre doch mal ein Ziel: Krankenhäuser die keine Wirtschaftsunternehmen sind, mehr gut bezahlte zufriedene Pfleger, mehr Ärzte die sich auf ihre Arbeit als auf die Bürokratie konzentrieren müssen. Mehr Studienplätze für Menschen mit Herz ohne ein Super-Abitur?
Dieses ganze gequatschte über die Änderungen von Managern und der Wirtschaft kann ich nicht mehr hören. Es scheint jetzt die Zeit der schwafelnden Soziologen und Philosophen zu sein! Alle haben was zu sagen, alle fordern Änderungen, ein Umdenken in dieser Gesellschaft. Aber es gibt keine Handlungsanweisungen, außer „jetzt haben wir endlich mal Zeit zum Lesen, Zeit für die Familie (das natürlich auf engstem Raum), Zeit für dies, Zeit für das. Genau all diese Zeit haben wir jetzt und vermissen spätestens in einer Woche all das was wir nicht mehr haben.
Unseren Alltag! In einer Zeit in der ich auch mal vom Alltag aussetzen musste, habe ich ein kleines Dankeschön an den Alltag geschrieben:

Das Besondere im Alltag zu finden ist eine Herausforderung.
Das Besondere im Alltag zu sehen ist oft nur mit Abstand möglich.
Das Besondere zu Formen ist nicht jedem vergönnt.
Das Besondere zu kaufen ist es oft nicht Wert! Es muss gefunden, gesehen, erkannt und eine Wertschätzung erfahren, nur dann ist es eine Kunst!

Auf ein baldiges Zurückkehren zum Alltag!

War vielleicht nur der frei, der auch gefesselt war?

Dieser Satz erfasst so vieles, dass die heutige junge Generation prägt!
Es fehlen die wahren Grenzen, Verbote, Traditionen. Ich selbst hasse die meisten Traditionen! Empfinde sie als sinnlos und bekämpfenswert! In meiner Kindheit und Jugend habe ich mich immer gegen sie aufgebäumt. Meine eigenen Kinder habe ich versucht nicht mit sinnlosen Traditionen zu fesseln. Habe ihnen zwar konservative Werte mitgegeben, aber vielleicht auch zu viel Freiräume gelassen? Es gab wenige Grenzen gegen die sie angehen mussten.
Ich durfte als junges Mädchen keinen Freund haben. Also müsste es heimlich sein. Meine Kinder hatten in dieser Hinsicht ihre Freiheiten. Sie mussten nichts vor mir verbergen. Es gab keinen Reiz für sie den richtigen Partner unter schwierigen Umständen zu suchen und den Wert eines Menschen zu erkennen den man vielleicht schon erobert hat. Heute ist die größte Hürde jemanden zu finden, den man wirklich halten möchte. Die vermeintliche Verfügbarkeit ohne Ächtung der Gesellschaft und Eltern macht die Liebe und das Zusammensein nicht einfacher. Vielleicht würdevoller, aber nicht aufregender, nicht spannender! Sogar eine Überforderung ist zu beobachten. Wie hätten alle diese Romane: Romeo und Julia, Ferhat ile Shirin …. entstehen können bei der heutigen Freiheit und dem liebevollen Verständnis ihrer Eltern. Die Zeit und mein Denken lassen sich nicht zurück drehen. Zu meinen Erziehungsidealen stehe ich immer noch, aber vielleicht hätte ich noch mehr künstliche Action, halbherzige Verbote, in unser Leben einbauen sollen? Nur um der Freiheit eine Würze zu geben!

War vielleicht nur der frei, der auch gefesselt war?
Beobachten wir die heutigen Diktaturen. Wir schreiben das Jahr 2019: Auf fast jedem Kontinent erlebt diese Unterart der Regierungsform ihre Renaissance. Fangen wir mit dem vermeintlichen, friedlichen und vereinten Europa an:
Von Westen bis Osten zieht sich ein Gürtel des Nationalismus durch. Über 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg!
Gab uns das freiheitliche Denken, das uns über Generationen vergönnt war, keine Idee, keine Wertschätzung für den Wert der Demokratie? In mir formt sich eine absurde Theorie. Gebe den Menschen lange genug das wofür andere gekämpft haben und laß die Zeit gegen sie arbeiten. Es bedarf keiner aktiven Verbote. Die Menschen befreien sich wieder von dieser Bürde der Freiheit! Was bedeutet ein Frieden der nicht erkämpft wurde. Was soll die Meinungsfreiheit einem geben, wenn sie nie beschränkt wurde. Warum soll man die Vorteile einer Einheit erkennen, wenn man nie allein sein musste. Wozu die Perspektive einer guten Bildung, wenn das Lernen nie verboten war. Das Fundament für das heutige Europa haben Menschen gelegt, die diese Werte für schützenswert und für verbesserungswürdig hielten. Heute wählen große Volksgruppen Parteien die diese Werte vernichten wollen!