Ja woran erkennt man das? Ist es die Regierungsform? Demokratie oder Diktatur? Ist es das Sozialverhalten der Gesellschaft, das Miteinander? Ich entsinne mich einmal über das Entwicklungsniveau einer Gesellschaft und ihr Verhältnis zu den Tieren gelesen zu haben. Je entwickelter, desto mehr erfährt ein Tier an Wertschätzung. Ich weiß nicht mehr welche Tiere gemeint waren, vorrangig vielleicht die Haustiere.
Eine Szene aus meiner Jugend bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf, über die muss ich jedes Mal schmunzeln.
Wie viele unter uns, habe auch ich meine Eltern frühzeitig und beständig mit dem Wunsch nach Haustieren traktiert. War nicht besonders erfolgreich. Das erste brauchbare Haustier habe ich im Kindergarten durchgesetzt. Eine Katze, jung, so süß, verstarb aber an einer Krankheit. Musste sie nach zwei Tagen zurück geben und wurde nie wieder gesehen. Das Thema war damit erledigt! Es ging mit Vögeln weiter! Eine Vielzahl von sehr zahmen Wellensittichen wurden bei uns gehalten und geliebt. Schlaue Vögel! Wie geht in so einen kleinen Kopf so viel Verstand hinein? Mir wurde mal gesagt, dass sie evolutionär schon lange an ihrem Hirn arbeiten durften. Mancher Mensch muss noch ganz am Anfang der Evolution stehen und darf schon regieren. Das wäre in der Tierwelt nicht möglich! Den Wellensittichen folgte in einer sehr schwachen Widerstandsphase meiner Eltern, sie waren eigentlich schon Großeltern, ein Meerschweinchen! Eigentlich vorgesehen für die Enkelin, landete dann aber doch wieder bei Oma und Opa! Es kam unerwartet eine innige Liebe zwischen diesem Meerschweinchen und meiner Mutter zustande. Etliche Jahre blieb uns dieses Meerschweinchen erhalten. Wenn sie mal verreist war, musste es von meinem Vater versorgt werden. Er war ein sehr tierlieber Mensch, die zu große Ratte behandelte er aber mit Respekt. Gefüttert wurde aus großer Entfernung. Die Salatblätter wurden ihm zugeworfen, wie dem Löwen das Fleisch. Die Kontrollanrufe meiner Mutter waren oft nur wegen Boncuk, so hieß das Meerschweinchen. Sein Wohlbefinden wurde abgefragt, wie es meinem Vater ging war nebensächlich! Mir war diese Liebe gänzlich unverständlich. Zumal ich Meerschweinchen blöd und untreu finde. Wer sie füttert ist mit im Team, hat ihre Aufmerksamkeit und Liebe. Machst du diesen Job mal drei Tage nicht, ist der Liebesentzug sicher! Könnte es da auch Parallelen zu uns Menschen geben? Ich fürchte ja! Aber nur grob gesehen, so als Volk. Es werden Menschen in Positionen ertragen, denen sie sozial nicht gewachsen sind, aber sie entscheiden wirtschaftlich so, dass viele davon profitieren und sich die Taschen füllen können und satte Menschen begehren nicht auf.
Meine Mutter hat nie an der Liebe ihres Boncuks gezweifelt! Sie war sogar der Meinung, dass er ihre Gefühlslagen deuten konnte. War sie traurig, war er traurig. Immer im Einklang! Nach vielen Jahren wurde Boncuk mal ernsthaft krank, musste mal zum Arzt. Dieser Job wurde mir übertragen. Wie peinlich für mich! Ich musste diese Ratte einpacken und irgendwie zum Arzt bringen. Er tat mir schon leid, aber musste ich ihn denn zum Arzt bringen? Ich hatte das Tier vor Jahren mal gekauft, die Pflegerechte hatte ich doch schön abgegeben. So dachte ich! Wie so oft in meinem Leben musste ich mal wieder jemanden zum Arzt begleiten. Früher zum Übersetzen, dieses Mal das hilflose Meerschweinchen! Also saß ich mit diesem kranken Meerschweinchen im Warteraum beim Tierarzt. Vorher noch in der Anmeldung den Namen des Tieres genannt und mit vielen anderen Tierliebhabern zum Warten hingesetzt. Ich kam mir mit meinem Tier so deplatziert vor. Keinem in meiner türkischen Verwandtschaft hätte ich dieses Verhalten erklären können. Einen ausgewachsenen schönen Hund oder Katze, nicht doch so eine kleine Kreatur. Aber eben dieses kleine Wesen hatte das Herz meiner Mutter erobert. Da war nichts zu machen! Liebe kennt aber auch so gar keine Grenzen!
Endlich wurden wir aufgerufen. Nein, nicht wir, sondern Boncuk! Er war hier der Patient! Als dieser wurde auch Boncuk in den Behandlungsraum gerufen. Ich durfte ihn nur hineintragen! Wenn das Tier nicht wirklich gelitten hätte, ich hätte platzen können vor Lachen! So musste ich mich zusammenreißen und den Patienten ernsthaft auf den Behandlungstisch legen. Er tat mir wirklich leid! Nur ist mir immer wieder klar geworden, wie entwickelt wir in dieser Gesellschaft waren und wie weit weg von den Sorgen, die jemand auf der anderen Seite der Erde hat, in weniger komfortableren Lebensumständen! Da ist das Menschenleben nicht mal so viel wert, wie das unserer Haustiere. Es geht oft nur ums Überleben! Sollte man sich mal vor der Geburt entscheiden müssen, in welcher Form man auf der Erde existieren möchte, als Mensch unter unwürdigen Umständen, wie Hunger, Not, Gewalt, Verfolgung, oder als Hund in Deutschland. Ich würde den Hund nehmen! Hier geht es ihnen gut! Liebe, Nahrung, ärztliche Versorgung ist ihnen sicher!
Boncuk überlebte den Arztbesuch nur noch um wenige Wochen! War eben für ein Meerschweinchen schon sehr alt! Meine Mutter denkt heute noch mit viel Liebe an dieses Wesen zurück und ist immer noch der Meinung, dass es ein einzigartiges Lebewesen war! Sie hat so recht! Jedes Lebewesen ist doch was Besonderes! Und mir waren noch viele Besuche bei Tierärzten vergönnt. Auch meine Kinder bekamen ihre Vögel, Hamster, Meerschweinchen…..